Wir verwenden Cookies, um die Qualität unserer Dienste zu verbessern und den Datenverkehr zu analysieren. Mehr erfahren
Pflegeberufe: Die entscheidende Phase
Gast-Bloggerin Fabienne Renggli ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berner Fachhochschule im Innovationsfeld Gesundheitsversorgung und Personalentwicklung.
Die entscheidende Phase nach der Ausbildung
Das erste Jahr nach der Ausbildung ist für junge Pflegende entscheidend. Aktuelle Daten enthüllen eine alarmierende Realität: Sage und schreibe 60% der frisch ausgebildeten Pflegenden hängen innerhalb des ersten Beschäftigungsjahres ihre Arbeitsstelle an den Nagel und suchen nach anderen Möglichkeiten (Labrague & De los Santos, 2020).
Die Gründe für diesen Trend sind vielschichtig, denn nach ihrer Ausbildung sehen sich Pflegende einer Vielzahl von Herausforderungen gegenübergestellt: hohe Arbeitsbelastung, akuter Personalmangel, Schichtarbeit und ständiger Zeitdruck sind nur einige der Hindernisse, die es zu bewältigen gilt.
Ein Sprungbrett für eine langfristige Karriere im Pflegeberuf
Der Übergang von der Ausbildung zur Praxis ist die Zeit, in der die Grundlagen gelegt werden, die den Verlauf der gesamten beruflichen Laufbahn beeinflussen können. In dieser Übergangsphase lernen Pflegende nicht nur fachliche Aspekte, sondern entwickeln auch die notwendige Resilienz, um den Anforderungen ihres Berufs gerecht zu werden.
Es ist eine Zeit der Herausforderungen, aber auch der Chancen und des Wachstums. Ein erfolgreiches erstes Jahr im Pflegeberuf kann die Basis für eine langfristige und erfüllende Karriere legen.
Formung der beruflichen Identität – Selbstfindung und Selbstvertrauen
Das erste Jahr im Beruf ist eine Phase der Entdeckung - nicht nur im Hinblick auf den Beruf selbst, sondern auch auf die eigene Stärke und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Während der Ausbildung nehmen Pflegende eine Fülle von medizinischem Wissen, pflegerischen Kompetenzen und ethischen Grundsätzen auf. In ihrem ersten Jahr setzen sie dieses Wissen in die Praxis um, verfeinern ihre Fähigkeiten und lernen den Umgang mit Patient:innen und herausfordernden Situationen. Hier legen sie den festen Grundstein für ihre zukünftige Karriere. Mit jeder Erfahrung wächst ihr Selbstbewusstsein und sie beginnen, in ihre Fähigkeiten zu vertrauen. Gleichzeitig formt sich auch eine klarere Vorstellung ihrer Rolle und ihrer Identität als Pflegende.
Netzwerkaufbau – Die Wichtigkeit von Kontakten und Beziehungen
Das erste Jahr im Beruf ist die Gelegenheit, ein berufliches Netzwerk aufzubauen. Der Austausch mit erfahrenen Kolleg:innen, Vorgesetzten und anderen Fachleuten im Gesundheitswesen ist von zentraler Bedeutung. Studien zeigen deutlich, wie eine positive Arbeitskultur die Eingewöhnung und Bindung neuer Pflegenden beeinflusst (Kaihlanen et al., 2018; Murray et al., 2020). Diese Beziehungen dienen nicht nur als wertvolle Ressource bei Herausforderungen und Unsicherheiten, sondern eröffnen auch vielfältige berufliche Möglichkeiten für die Zukunft.
Herausforderungen als Chancen: Den Umgang mit Schwierigkeiten im ersten Jahr meistern
Das erste Jahr Beruf bringt unausweichlich Herausforderungen mit sich. Von Personalmangel bis hin zu komplexen Patient:innensituationen. Pflegende werden auf eine harte Probe gestellt. Doch in diesen Herausforderungen steckt auch grosses Potenzial des Lernens und des persönlichen Wachstums. Jede erfolgreich gemeisterte Hürde stärkt nicht nur die individuellen Fähigkeiten, sondern baut auch die Widerstandsfähigkeit für zukünftige Anforderungen auf.
Vom Studium zur Praxis – Das Übergangsschock-Modell von Duchscher
Duchscher (2009) entwickelte das Übergangsschock-Modell, um den Übergang von frisch ausgebildeten Pflegenden vom Studium in die berufliche Praxis zu verstehen. Es verdeutlicht, dass das erste Jahr im Pflegeberuf eine kritische Phase darstellt, in der Pflegende mit Herausforderungen konfrontiert werden, die ihre zukünftige Laufbahn stark beeinflussen können. Dieser Übergang hat direkte Auswirkungen auf die Entscheidungen der Pflegenden hinsichtlich Spezialisierungen, Weiterbildungen und Karriereschritten.
In einer spiralförmigen Struktur beschreibt das Modell, wie Verlust, Zweifel, Verwirrung und Orientierungslosigkeit zu einem Übergangsschock führen können, der sogar bis hin zum Berufsausstieg führen kann.
Das Modell unterteilt den Übergangsprozess in folgende vier Hauptphasen: Erwartung, Schock, Anpassung und Rollenklarheit.
In der Erwartungsphase des Studiums entwickeln Auszubildende Vorstellungen und Erwartungen darüber, wie ihr zukünftiger Beruf aussehen wird. Diese Vorstellungen sind oft idealisiert und können von der tatsächlichen Realität des Pflegeberufs abweichen.
Die Schockphase tritt ein, wenn Pflegende den Übergang in die berufliche Praxis vollziehen. Hier erkennen die Pflegenden, dass die tatsächlichen Anforderungen und Herausforderungen des Pflegeberufs möglicherweise nicht mit ihren Erwartungen übereinstimmen. Dies kann zu Gefühlen von Unsicherheit, Überforderung und Stress führen, da Pflegende sich plötzlich in einer neuen und anspruchsvollen Umgebung wiederfinden.
Die Anpassungsphase ist geprägt von der Entwicklung von Bewältigungsstrategien und der Anpassung an die Anforderungen des Berufs. Pflegende beginnen, Selbstvertrauen aufzubauen, indem sie neue Fähigkeiten erlernen und ihre Kompetenzen in der praktischen Arbeit verbessern. Diese Phase beinhaltet oft eine steile Lernkurve und erfordert Unterstützung durch erfahrene Kollegen, Mentoren und Vorgesetzte.
Die Rollenklarheitsphase markiert den Punkt, an dem Pflegende sich in ihre berufliche Rolle einfinden und ein tieferes Verständnis für ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten entwickeln. Sie fühlen sich zunehmend sicherer in ihrer Fähigkeit, die ihnen übertragenen Aufgaben zu bewältigen, und bauen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrem Team und ihrer Organisation auf.
Die Auseinandersetzung mit diesem Modell kann Pflegenden helfen, die Herausforderungen des ersten Jahres besser zu verstehen und bewusste Entscheidungen für ihre berufliche Weiterentwicklung zu treffen. Es betont die Bedeutung der Unterstützung in dieser Zeit, sei es durch Kolleg:innen, Mentor:innen oder Vorgesetzte, um den Übergang erfolgreich zu meistern und eine solide Grundlage für eine erfüllende Karriere im Pflegeberuf zu legen.
Fazit: Das erste Jahr in der Pflege als Schlüsselrolle
Das Übergangsmodell von Duchscher (2009) beleuchtet eindrucksvoll, wie die Phase des Übergangs vom Studium zur Praxis eine herausfordernde und anspruchsvolle Zeit für Pflegendee darstellt. Um diesen Übergangsschock erfolgreich zu bewältigen, spielen verschiedene Faktoren eine entscheidende Rolle.
Eine wesentliche Komponente ist die Unterstützung während dieser Phase. Sei es durch erfahrene Mentor:innen oder durch eine Arbeitsumgebung, die eine positive Arbeitskultur fördert, um den Übergang reibungslos zu gestalten und die berufliche Integration sowie langfristige Bindung von Pflegenden zu fördern.
Insgesamt ist das erste Jahr nach der Ausbildung bei Pflegenden von grosser Bedeutung. Es ist eine Zeit des Lernens, der Anpassung und der Entdeckung der eigenen Stärken und Interessen. Mit der richtigen Einstellung und dem Engagement, neue Erfahrungen zu sammeln und Herausforderungen anzunehmen, können Pflegende das Beste aus diesem entscheidenden Jahr herausholen und eine erfüllende Laufbahn in der Pflege aufbauen.
- [1] Duchscher, J. E. B. (2009). Transition shock: The initial stage of role adaptation for newly graduated registered nurses. Journal of advanced nursing, 65(5), 1103-1113. https://doi.org/10.1111/j.1365-2648.2008.04898.x
- [2] Kaihlanen, A. M., Haavisto, E., Strandell‐Laine, C., & Salminen, L. (2018). Facilitating the transition from a nursing student to a Registered Nurse in the final clinical practicum: a scoping literature review. Scandinavian Journal of Caring Sciences, 32(2), 466-477. https://doi.org/10.1111/scs.12494
- [3] Labrague, L. J., & De los Santos, J. A. A. (2020). Transition shock and newly graduated nurses' job outcomes and select patient outcomes: A cross‐sectional study. Journal of nursing management, 28(5), 1070-1079. https://doi.org/10.1111/jonm.13033
- [4] Murray, M., Sundin, D., & Cope, V. (2020). Supporting new graduate registered nurse transition for safety: A literature review update. Collegian, 27(1), 125-134. https://doi.org/10.1016/j.colegn.2019.04.007