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Welche Kompetenzen benötigen Gymnasiast:innen im Gymnasium der Zukunft?
Den Schweizer Gymnasien steht eine Reform bevor, mit einem klaren Fokus auf überfachliche Kompetenzen. Wir hatten die Gelegenheit, ein Gymnasium beim Startschuss zur gezielten Förderung dieser Kompetenzen zu begleiten. Pionierarbeit auf der Sekundarstufe 2.
Expert:innen sind sich einig: Überfachliche Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, kritisches Denken und Selbstreflexion gehören zu den wichtigsten Fähigkeiten, die sich Menschen im Allgemeinen und Schüler:innen im Speziellen, aneignen sollen. In einer digitalisierten und sich ständig wandelnden Arbeitswelt sind diese Fähigkeiten entscheidend, um erfolgreich in der Gesellschaft und im Arbeitsmarkt bestehen zu können.
Das Problem: Die systematische Förderung überfachlicher Kompetenzen kommt in vielen Bildungseinrichtungen zu kurz. Der Fokus liegt stattdessen nach wie vor stark auf der Aneignung von Wissen und dem Erwerb fachlicher- und methodischer Kompetenzen.
Der mittlerweile 10 Jahre alte Lehrplan 21 betont in den Grundlagen die Bedeutung überfachlicher Kompetenzen und definiert ihre Förderung als verbindlichen Auftrag für Lehrpersonen.
Nach den Volksschulen stehen nun auch deren Abnehmerschulen unter Druck. Die KV-Lehre hat bereits eine umfassende Reform durchlaufen, die auf Kompetenzorientierung setzt. Die nächsten Kandidaten sind die Gymnasien.
Wie kann es den Schweizer Gymnasien gelingen, in Zukunft die überfachlichen Kompetenzen ihrer Schüler:innen stärker und gezielter zu fördern? Und welche Kompetenzen sind es überhaupt, auf die das Augenmerk gerichtet werden soll? Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren hat hierzu im August 2024 ein umfassendes Dokument veröffentlicht. Die darin aufgeführten Kompetenzen lassen sich in drei Kompetenzfelder und zehn zentrale Kompetenzbereiche unterteilen.
Anstatt auf Richtlinien der Kantone zu warten, gehen erste Gymnasien in die Offensive und leisten Pionierarbeit bei der Förderung überfachlicher Kompetenzen. Wir hatten die Gelegenheit, ein Gymnasium beim Start dieses Prozesses zu begleiten. Im Vorfeld des Workshops führten wir eine Befragung bei den Lehrpersonen durch. Zwei Dinge wollten wir wissen:
Welche überfachliche Kompetenz ist für Gymnasiast:innen am wichtigsten?
In welchen Kompetenzen sehen die Lehrpersonen den grössten Förderbedarf?
Die Lehrpersonen konnten ihre Meinungen einbringen, indem sie jeweils 10 Punkte auf die verschiedenen Kompetenzen verteilten – sowohl in Bezug auf Wichtigkeit als auch auf Förderbedarf.
Das Ergebnis: Alle Kompetenzen erhielten Stimmen und wurden somit als wichtig und förderbedürftig definiert. Doch ein Kompetenzbereich setzte sich klar ab: das kritische und hinterfragende Denken. Interessanterweise bewerteten die Lehrpersonen die Kompetenzen insgesamt sehr ähnlich, sowohl hinsichtlich ihrer Wichtigkeit als auch des Förderbedarfs.
Den Lehrpersonen zufolge sollten Gymnasien also die Förderung überfachlicher Kompetenzen primär in den Bereichen kritisches und hinterfragendes Denken, Selbstorganisation und Eigenverantwortung, Artikulations- sowie Text- und Sprachkompetenz und Reflexionsfähigkeit prioritär in Angriff nehmen.
Doch was bedeutet es konkret, wenn eine Gymnasiast:in beispielsweise die Kompetenz «Kritisches und hinterfragendes Denken» besitzt? Um diese Frage zu beantworten, legten die Lehrpersonen den Grundstein für eine gemeinsame Sprache zu den Kompetenzbereichen, indem sie beobachtbare Verhaltensweisen in drei Kompetenzausprägungen formulierten und diskutierten.
Eine Schüler:in sollte beim Eintritt ins Gymnasium in der Lage sein, einfache Kausalbeziehungen zu erkennen. In ihren ersten Jahren am Gymnasium sollte sie allmählich die Kompetenz erlangen, verlässliche Quellen zu finden und Informationen kritisch zu beurteilen. Bevor eine Schüler:in dann die Maturaprüfungen antritt, kann sie in Argumentationen logische Fehlschlüsse identifizieren.
Das Ergebnis dieser Arbeit war, dass die Lehrpersonen einen Pool an Indikatoren für alle Kompetenzbereiche geschaffen hatten, der die Erwartungen der Lehrpersonen an die überfachlichen Kompetenzen der Schüler:innen widerspiegelte. In einem dritten Schritt ging es nun darum, zu überlegen, in welchen bestehenden oder neuen Gefässen diese Kompetenzen gefördert werden können. Die Fachbereiche durchforsteten das bestehende Curriculum und dachten ‚out of the box‘ über mögliche neue Sonderformate nach, die zukünftig als gezielte Fördergefässe dienen können.
Die Reflexionen der Fachgruppen zeigten eindrücklich auf, dass es bereits eine bunte Palette an Gefässen und Unterrichtseinheiten gibt, in denen überfachliche Kompetenzen an Gymnasien zur Entfaltung kommen. Die Fachlehrpersonen haben diese Kompetenzen oft schon lange auf dem Radar und fördern sie aktiv in ihrem Unterricht. Was jedoch fehlt, ist einerseits die gezielte Förderung überfachlicher Kompetenzen und andererseits ein einheitliches Verständnis für ihre Bedeutung. Der Eindruck, dass überfachliche Kompetenzen noch immer in der zweiten Reihe stehen, bleibt bestehen.
Auch wenn verbindliche kantonale oder überkantonale Initiativen wünschenswert sind, liegt es in der Verantwortung und Kompetenz jeder Schule und Lehrperson, diesen Kompetenzen mehr Raum zu geben. Nur so können die künftigen Bürger:innen mit dem Rüstzeug ausgestattet werden, das sie befähigt, in einer komplexen und sich wandelnden Welt erfolgreich und verantwortungsbewusst zu agieren.