

Reicht es heute noch, Antworten auf einen Fragenkatalog zu lernen?
Stellen Sie sich vor, an einer Quizshow würde den Kandidaten die Frage gestellt «Was erachten Sie als günstige Vorgehensweise, damit erwerbstätige Menschen nicht mehr jeden Tag stundenlang im Stau stehen müssen?». Egal welche Antwort die Kandidaten geben würden, die Quizshow könnte so nicht funktionieren, weil es keine objektiven Kriterien gibt, die entscheiden könnten, welcher Kandidat die Frage besser beantwortet hat als die anderen und deshalb das Spiel gewinnt. Quizshows funktionieren, weil Fragen gestellt werden, auf die es nur eine einzige richtige Antwort auf eine gestellte Frage gibt.
Genauso verhält es sich mit der Schule. Damit das »Schulspiel« funktioniert und die Gewinner und Verlierer des Prüfungs- und Zeugnisspiels ermittelt werden können, braucht es Fragestellungen, auf die es immer nur eine richtige Antwort auf gestellte Fragen gibt. Dadurch kann beurteilt werden, wie viele Antworten richtig und wie viele falsch sind. Die Ergebnisse können in ein Punktesystem und danach in eine Notentabelle übertragen werden.
Nur, Antworten auf vorgefertigte Fragen zu geben, ist etwa so kreativ wie auf »Bip« »Bap« zu sagen, weil »Bap« die richtige Antwort auf »Bip« ist. Das Denken wird reduziert auf die Reproduktion von richtigen Antworten. Wer darin gut ist, ist ein erfolgreicher Schüler. Zu entdecken oder selber zu denken, gibt es jedoch nicht viel.
Nur, reicht es in unserer Zeit, Antworten auf einen Fragenkatalog zu lernen? Ja, wenn es darum geht, an Prüfungen gute Noten zu erzielen und damit Zeugnisse zu erhalten, die einen für höhere Schulstufen und anspruchsvolle Ausbildungen qualifizieren. Nein, wenn kreative Denker, tatkräftige Performer eigener Ideen und eigenständige Persönlichkeiten die Schule verlassen sollen. Wenn letzteres die Zielsetzung der Schule von heute sein soll, dann braucht es eine deutliche Fokusverschiebung zu mehr Gelegenheiten, komplexe und offene Problemstellungen zu lösen und mehr lebensnahe Herausforderungen meistern zu können. Fehler gibt es bei Aufgabenstellungen, bei denen es nur eine richtige Antwort gibt. Bei lebensnahen, komplexen Herausforderungen gibt es sie jedoch nicht, weil es die einzig richtige Vorgehensweise nicht gibt – es gibt lediglich Ideen, Entscheidungen und Erfahrungen bei der Umsetzung dieser Ideen. Wenig erfolgreiche Entscheidungen sind deshalb keine Fehler, sondern lediglich Erfahrungen, die aufzeigen, dass es womöglich noch Alternativen geben würde. Die Reflexion darüber schärft das Bewusstsein, ein nächstes Mal eine andere Wahl zu treffen. Das ist dann das, was gemeint ist, wenn man sagt, aus Fehlern lernt man. Und es ist exakt das, was man unter kompetenzorientiertem Lernen versteht: Das Anwenden von erworbenem Wissen in komplexen, lebensnahen und nichtstandardisierten Situationen.
Die Frage bleibt, wie beurteilt man denn aber kompetenzorientiertes Tätigsein. Durch die Komplexität solcher Herausforderungen und die Abwesenheit einzig richtiger Vorgehensweisen, können keine objektiven Noten generiert werden. Nur, muss denn überhaupt für das hinterletzte, was an Schulen gemacht wird eine Note gegeben werden oder geht es nicht viel mehr einfach um die Erfahrung, Ideen zu entwickeln, tatkräftig zu werden, sich für etwas zu engagieren und durch das Reflektieren über die Ergebnisse, seinen Handlungsspielraum zu erweitern? Um Schule in diese zeitgemässe Richtung zu verändern, brauchen wir neue »Spielregeln«. Gerade mit der Einführung des LP 21 müssen wir uns darüber Gedanken machen. Das Tolle: Es gibt keine einzig richtige Lösung dafür, jedoch kreative Ideen für mögliche Umsetzungen. Es bleibt zu hoffen, dass wir vor lauter Angst nicht die einzig richtige Lösung zu finden, einfach beim Alten bleiben.
Von Daniel Hunziker
Daniel Hunziker, langjähriger Schulleiter und Lehrer, Initiant der Initiative Schulen der Zukunft gemeinsam mit Prof. Dr. Gerald Hüther, Inhaber der Firma Bildungsreich – Kompetenzentwicklung und Potenzialentfaltung und des Kompetenzraster-Netzwerks.